Wer im Netz nach den beiden Begriffen Linkshänder und Arbeitsschutz sucht, findet auf Platz 1 – und dies bereits seit Jahren – einen Artikel mit dem Titel „Linkshänder im Arbeitsschutz: Eine übersehene Minderheit?“
Als ich diesen Text vor gut 10 Jahren verfasste, ahnte ich weder, dass der Artikel so lange online verfügbar bleiben würde noch, dass er so prominent gerankt werden würde. Letzteres mag mit den SEO-Anstrengungen des Portalbetreibers zusammenhängen, liegt aber vermutlich zu großen Teilen schlichtweg daran, dass die Begriffskombination vergleichsweise wenige brauchbare Suchergebnisse liefert. Denn das Fazit der rhetorischen Frage aus dem Titel des damaligen Artikels könnte ich heute genauso formulieren. Linkshändigkeit ist in der Arbeitssicherheit nach wie vor ein „übersehenes“ Thema und die Minderheit von aktiv im Beruf stehenden Linkshändern ist gar nicht so klein.
Es ist zwar immer wieder von erhöhten Gefährdungen für Linkshänder zu lesen, aber belastbare Zahlen dazu gibt es nicht. Nach wie vor wird das Merkmal Händigkeit in Unfallanzeigen nicht erfasst und bleibt in den Unfallstatistiken unsichtbar. Somit liegen keine Zahlen vor, die Aufschluss darüber geben könnten, inwiefern Linkshändigkeit
- das Unfallrisiko erhöht, weil z. B. Not-Aus-Systeme für die linke Hand im Ernstfall weniger gut erreichbar sind.
- das manuelle Arbeiten erschwert, weil z. B. das Licht für Linkshänder von der falschen Seite kommt, eine Maschine schwieriger zu bedienen ist oder ein (für Rechtshänder konstruiertes) Werkzeug für einen Linkshänder ungeeignet ist.
Leitlinie zur Händigkeit
„Linkshänder*innen brauchen passende Arbeitsgeräte, das erhöht Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit“ war 2019 vom BMAS zu lesen. Zwar sind einige Werkzeuge und Arbeitsmittel wie Schere, Zollstock oder Computermaus in Linkshänder-Varianten erhältlich, aber darüber hinaus scheint Händigkeit beim vielzitierten Gestalten menschengerechter Arbeitsumgebungen kein wesentlicher Aspekt zu sein.
Dass das Thema nach wie vor aktuell ist, zeigen mir die Rückmeldungen, die zu dem Artikel von 2010 immer wieder bei mir eingehen. Dadurch kam ich auch in Kontakt mit Frau Dr. Johanna Barbara Sattler, der bekanntesten Vertreterin der Interessen von Linkshänderinnen und Linkshändern im deutschsprachigen Raum. Frau Dr. Sattler ist Psychologin, Psychotherapeutin, Buchautorin und Gründerin einer Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder.
Unter Koordination von Frau Dr. Sattler haben die DGAUM und die GfA (Fachgesellschaften für Arbeitsmedizin und Arbeitswissenschaft) inzwischen eine S1-Leitlinie zur Händigkeit erstellt Dieses 28-seitige Leitlinie ist vermutlich das umfassendste aktuelle Dokument zum Thema, zumindest im deutschsprachigen Raum. Die Autoren sehen kein generelles Problem für alle Linkshändigen in der Arbeitswelt. Für „gewerbliche Tätigkeiten mit rechtsorientierten Handarbeiten“ könne jedoch die Suche nach gezielten Lösungen erforderlich sein.
Ich will an dieser Stelle die Diskussion nicht weiter führen, in meiner Sicht wichtige Aspekte sind im Fachbeitrag von 2010 nachzulesen. Wer an den vielen offenen Fragen zur Relevanz von Linkshändigkeit auf Arbeitssicherheit, Ergonomie das Gestalten von Arbeitsplätzen interessiert ist, selbst betroffen ist oder sogar aktiv am Thema forscht, ist herzlich eingeladen, sich zum weiteren Austausch mit mir zu vernetzen.
PS: Händigkeit im Sinne einer Verhaltensasymmetrie gibt es übrigens auch in der Tierwelt, s. Warum Tiere Vorlieben für die rechte oder die linke Körperseite haben.