Welche Auswirkungen hat künstliche Intelligenz auf den betrieblichen Arbeitsschutz? Ich habe diese Frage für das Magazin Sicherheitsingenieur aufgegriffen. Der erste von zwei Artikeln dazu ist vor wenigen Tagen erschienen und unter KI in Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz zu finden. Lesen Sie nachfolgend einige Gedanken, die über den Artikel hinausgehen.
Seit das kalifornische Unternehmen OpenAI Ende November 2022 seinen Chatbot ChatGPT für jedermann zur kostenloses Nutzung freigegeben hat, vergeht kein Tag ohne neue Schlagzeilen zu den Fähigkeiten künstlicher Intelligenz. Beflügelt wurde der Hype durch verbesserte Versionen von KI-Anwendungen wie Dall-E oder Midjourney, mit denen sich Bilder – von Krakel-Zeichnungen bis zu fotorealistischen Darstellungen – erzeugen lassen. Doch diese Werkzeuge, mit denen inzwischen so gut wie jeder herumgespielt hat, der sich für kreativ hält – oder hofft, es mithilfe dieser Tools zu werden – bilden nur einen Bruchteil der Anwendungen künstlicher Intelligenz ab. Das derzeitige mediale Echo bildet eine vordergründige Wahrnehmung von KI ab, gehypt durch immer neue Sensations-Meldungen. Dass Algorithmen in vielen Lebensbereichen längst immer mehr Aufgaben übernommen haben, Prozesse steuern und sich Tag für Tag an den von uns erzeugten Daten bereichern, wird uns nur selten bewusst.
KI beeindruckt
In der Tat klingen die Leistungen von KI-Anwendungen beeindruckend, hier einige wenige Beispiele:
- KI entschlüsselt antike Handschriften.
- KI erkennt eine Depression 20 mal schneller als ein Facharzt.
- KI moderiert eine Radiosendung.
- KI erschafft Kunstwerke, die für viel Geld versteigert werden.
- KI hilft Forschern, bedrohte indigene Sprachen zu retten.
- KI erkennt den Benutzer einer Waffe (und sperrt sie bei unberechtigtem Zugriff).
- KI bekämpft Schädlinge
- KI warnt uns vor Staus, die erst 3 Stunden später auftreten.
- KI schützt Wälder vor Bränden.
- KI soll die Null-Fehler-Produktion ermöglichen.
- KI hat die 10. Sinfonie von Beethoven, bekannter als „Die Unvollendete“ zu Ende komponiert.
Eine solche Liste könnte um Hunderte oder – je nachdem, wie sehr man einzelne Anwendungen differenziert – Tausende Einträge erweitert werden und würde jeden Tag länger. Noch faszinierender als die – teils erhofften, teils nachgewiesenen – Erfolge ist die immense Breite der Einsatzmöglichkeiten für KI. Offenbar dringen smarte Algorithmen früher oder später in sämtliche Lebensbereiche, wissenschaftliche Disziplinen und Wirtschaftsbranchen vor. Dies kommt wenig überraschend, wenn man weiß, dass es bereits lange vor den aktuellen KI-Stars wie ChatGPT, Midjourney & Co bereits KI-Anwendungen gab. Auf There’s An AI For That werden Tausende von AI-Tools aufgelistet, die ersten Einträge stammen von 2015.
Jeder kann dabei sein
Hypes gab es bei KI des Öfteren, gefolgt von enttäuschten Erwartungen. Gleichwohl ist der aktuelle Begeisterungsschub verständlich. Denn plötzlich werden Elemente der Science-Fiction real. Eine bislang weitgehend abstrakte Vorstellung von künstlicher Intelligenz wird persönlich erlebbar. Jeder, der es erfolgreich geschafft hat, einen Prompt einzugeben und einen halbwegs akzeptablen Output zu generieren, ist dabei und kann aktiv teilnehmen am Aufbruch ins KI-Zeitalter.
Mensch-Maschinen-Schnittstelle werden unauffälliger
Auch das lästige Tippen fällt weg. Wir sprechen mit Siri, Alexa & Co wie der Android Data mit dem Computer der Raumschiff Enterprise. Und wir erhalten Antworten. Die Mensch-Maschinen-Schnittstelle zeigt sich bei vielen KI-Anwendungen immer besser an die natürlichen Bedürfnisse und Ausdrucksmöglichkeiten ihres „organischen Partners“ angepasst. Wo bislang wir Menschen aktiv werden mussten, etwa vielseitige Bedienungsanleitungen studieren oder programmieren lernen, lernt nun die Maschine von uns. Die smarte Software erkennt unser Sprechen, unsere Gesten, unseren Gesichtsausdruck und unsere Verhaltensweisen und stellt sich immer besser auf unsere Bedürfnisse ein. So die Theorie. Gleichzeitig tritt die Hardware immer mehr in den Hintergrund, wird kleiner und unauffälliger, in Mobiliar und Alltagsgegenstände integriert. Früher besaß man einen Computer, der als Kasten irgendwo herumstand und nach Gebrauch ausgeschaltet wurde. Heute sind IT-Geräte allgegenwärtig und ununterbrochen aktiv. Ich würde nur zu gern hören, wie ein Issac Asimov oder ein Gene Roddenberry diese Entwicklungen kommentieren würden. Aber wer weiß, womöglich macht auch KI dies demnächst möglich.
KI-Experten warnen vor dem Ende der Menschheit
Aus Sicht des KI-Laien kam Anfang 2023 nach dem ersten Medienrummel um KI die Meldung überraschend, dass plötzlich „ausgerechnet die Akteure, die die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz vorantreiben, am lautesten vor der Vernichtung der Menschheit“ warnen, wie es die FAZ formulierte. Dass Hunderte der führenden KI-Fachleute die Risiken durch KI auf der gleichen Stufe wie Pandemien und Nuklearkrieg bewerten, ist ein Paukenschlag, der immer noch nachhallt. Zumal weitere Akteure nachlegten, etwa die Entwickler von ChatGPT, die in einem Blog von der Gefahr der Entmachtung der Menschheit durch eine ‚Superintelligenz‘ reden und – wie auch das Center for AI Safety – sogar ein Aussterben der Menschheit in den Debattenraum stellen. Auch der sogenannte „Godfather of AI“ warnt vor seiner eigenen Schöpfung.
Wenn die Frage nach KI am Arbeitsplatz Schulterzucken auslöst
Dass KI auch die Arbeitswelt verändert und weiter verändern wird, muss nicht erklärt werden. In persönlichen Gesprächen ist von Begeisterung bis Zukunftsängsten alles zu spüren, insgesamt überwiegt nach meiner Erfahrung ein Gefühl zwischen Unverständnis und Unsicherheit. Schulterzucken scheint DIE typische Geste bei Fragen nach dem Einfluss von KI auf Arbeitsplatz und berufliche Zukunft zu sein.
Spannend wird es bei der Frage, inwiefern KI den betrieblichen Arbeitsschutz verändert. Ich habe dieses Thema für das Magazin Sicherheitsingenieur aufgegriffen. Der Beitrag ist unter KI in Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz zu finden. In diesem ersten Teil beleuchte ich die Chancen von KI-Anwendungen für den Arbeitsschutz. In einem Folgebeitrag, der in der Novemberausgabe des Sicherheitsingenieur erscheinen wird, gehe ich auf einige mit KI-Nutzung verbundene Risiken ein, bei denen gerade betriebliche Arbeitsschützer genau hinschauen sollten.
Um es etwas verkürzt zu formulieren: Wenn eine Supermarkt-KI Ekelrezepte vorschlägt, kann man das lustig finden. Wenn ein Chatbot in selbstbewusstem Ton Blödsinn verzapft, wird es bedenklicher. Doch spätestens, wenn es um den Schutz von Leben und Gesundheit geht, kann man vor einem sorglosen Verwenden von KI und einem Sich-Verlassen auf vermeintlich noch so smarte Algorithmen kaum laut genug warnen. Sobald Arbeitsschutz-Akteure beginnen, Verantwortung an eine künstliche Intelligenz abzugeben, da diese vermeintlich eh alles besser weiß und kann, wird es meiner Ansicht nach hochbrisant. Hier werden noch viele Diskussionen geführt werden müssen.
Was sagen die Big Player im Arbeitsschutz?
Es ist interessant, zu beobachten, wie sich die im Arbeitsschutz in Deutschland maßgeblichen und zuständigen Organisation nach und nach zur künstlichen Intelligenz äußern. Ich will das an dieser Stelle nicht weiter diskutieren, verlinke aber gern einige der bislang veröffentlichten Positionen, Stellungnahmen und Projekte:
- Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) betrachtet die Möglichkeiten und Grenzen von künstlicher Intelligenz in der Arbeitswelt.
- Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) startet ein Projekt, das Potentiale Künstlicher Intelligenz zur Risikoanalyse im betrieblichen Arbeitsschutz untersucht.
- Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) will künstliche Intelligenz für sichere Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft nutzen.
- Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) äußert sich zum Arbeitsschutz in Zeiten der KI.
- Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) startet einen Fachdialog: Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz – Perspektiven für eine menschenzentrierte Gestaltung von KI.
- Die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) will Künstliche Intelligenz fair, transparent und im Dienste der Diversität nutzen.
- Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit e.V. (Basi) diskutiert, was der Einsatz von KI im Arbeitsschutz bringt.
Die obige Titelgrafik wurde übrigens – auch ich gehöre zu den Möchte-Gern-Experten, die mit KI herumspielen – geliefert vom (auf DALLE-E3 beruhenden) Image Creator von Microsoft Bing. Benutzt habe ich den Prompt „Erstelle eine Infografik zu den Chancen und Risiken von KI für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz“. Die Ergebnisse sehen Sie: Ganz nett, aber ohne echten Nutzwert, bestenfalls illustrativ zu verwenden.